München, 20.11.2024

Schuldgefühle am Arbeitsplatz

Ursachen, Auswirkungen und Handlungsempfehlungen für Führungskräfte

Schuldgefühle gehören zu den komplexesten Emotionen im Arbeitsalltag und beeinflussen die Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden stark. Sie entstehen oft in Situationen, in denen eine Führungskraft unabsichtlich durch Entscheidungen, Verhalten oder Kommunikation das Gefühl hervorruft, dass der oder die Mitarbeitende "nicht genug" leistet oder persönlichen Erwartungen nicht gerecht wird. Dieses Gefühl kann sowohl auf Seiten der Führungskraft als auch auf Seiten der Mitarbeitenden auftreten, insbesondere, wenn Erwartungen, Feedback oder Entscheidungen nicht klar kommuniziert werden.

Wie entstehen Schuldgefühle?

Schuldgefühle können durch verschiedene Auslöser am Arbeitsplatz entstehen. Sie wurzeln meist in der Wahrnehmung, etwas Falsches getan zu haben oder Erwartungen nicht gerecht geworden zu sein. In der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden entstehen Schuldgefühle häufig, wenn das Verhalten der Führungskraft als ungerecht, missverständlich oder inkonsistent empfunden wird.

Beispiel:
Eine Führungskraft delegiert eine anspruchsvolle Aufgabe an einen Mitarbeitenden, ohne ihm ausreichend Unterstützung zu bieten. Der Mitarbeitende verspürt Schuldgefühle, weil er das Gefühl hat, die Aufgabe nicht wie erwartet erledigen zu können, und macht sich Sorgen, die Führungskraft enttäuscht zu haben.

Woher kommen Schuldgefühle?

Schuldgefühle haben oft tiefere psychologische Ursprünge und resultieren aus sozialen und kulturellen Normen. Am Arbeitsplatz spielen auch persönliche Erwartungen und soziale Vergleichsprozesse eine Rolle. Mitarbeitende neigen dazu, sich mit Kollegen zu vergleichen und daraus eigene Erwartungen abzuleiten. Werden diese nicht erfüllt oder entsteht das Gefühl, der Führungskraft oder dem Team nicht gerecht zu werden, treten oft Schuldgefühle auf.

Beispiel:
Ein Mitarbeitender, der sich mit besonders engagierten Kollegen vergleicht, könnte das Gefühl entwickeln, ebenfalls länger zu arbeiten, obwohl dies für seine Position nicht zwingend erforderlich ist. Wenn er pünktlich Feierabend macht, können Schuldgefühle entstehen, weil er glaubt, weniger engagiert zu sein als seine Kollegen.

Welches Verhalten löst Schuldgefühle aus?

Führungskräfte können ungewollt durch verschiedene Verhaltensweisen Schuldgefühle bei Mitarbeitenden auslösen. Dazu zählen:

  1. Unklare Kommunikation: Wenn Anweisungen oder Erwartungen vage formuliert sind, fühlen sich Mitarbeitende unsicher und schuldig, wenn die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.
  2. Unrealistische Erwartungen: Setzt die Führungskraft unrealistisch hohe Ziele, fühlen sich Mitarbeitende unter Druck und sind besorgt, die Erwartungen zu verfehlen.
  3. Fehlende Wertschätzung: Ein Mangel an Anerkennung oder das Ignorieren von Bemühungen kann Schuldgefühle verursachen, wenn der Mitarbeitende sich selbst unzureichend fühlt.
Eine Schuldzuschreibung kann durch verschiedene Verhaltensweisen und Kommunikationsformen einer Führungskraft ausgelöst werden - oft auch ungewollt. Diese implizieren, dass der Mitarbeitende persönlich für ein Problem verantwortlich ist, was schnell Schuldgefühle hervorrufen kann.

Hier sind einige Verhaltensweisen der Führungskraft, die Schuldgefühle auslösen können:

  1. Fragestellungen mit "Warum" oder "Wieso": Solche Fragen legen nahe, dass der Mitarbeitende eine Entscheidung oder Handlung erklären muss, oft ohne vorher das Gesamtbild zu besprechen. Dadurch entsteht das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, was eine Schuldzuschreibung implizieren kann.

    Beispiel:
    Die Führungskraft fragt: "Warum hast du die Präsentation nicht pünktlich fertiggestellt?" Der Mitarbeitende könnte dies als Vorwurf verstehen und das Gefühl haben, dass ihm allein die Schuld für die Verzögerung zugeschrieben wird, selbst wenn äußere Umstände mitgewirkt haben.

  2. Direkte Kritik ohne Kontext: Wird Kritik geäußert, ohne die Gründe oder Lösungswege zu besprechen, fühlen sich Mitarbeitende schnell als "Sündenbock". Diese Form der Kritik legt nahe, dass allein der Mitarbeitende versagt hat, was Schuldgefühle und Selbstzweifel verstärken kann.

    Beispiel:
    Eine Führungskraft sagt: "Das Meeting lief nicht gut, weil du unvorbereitet warst." Diese Aussage verlagert die Verantwortung allein auf den Mitarbeitenden und erweckt den Eindruck, dass der gesamte Misserfolg an ihm liegt, ohne mögliche externe Faktoren zu berücksichtigen.

  3. Öffentliche Korrektur oder Kritik: Wenn Mitarbeitende in einem Meeting oder vor dem gesamten Team für eine Leistung gerügt werden, führt dies häufig dazu, dass sie sich beschämt und schuldig fühlen. Die öffentliche Art der Kritik kann den Eindruck vermitteln, dass sie allein für das Problem verantwortlich sind.

    Beispiel:
    In einem Team-Meeting sagt die Führungskraft: "Wenn Peter Meier die Zahlen genauer geprüft hätte, hätten wir diesen Fehler vermeiden können." Diese Aussage isoliert den Mitarbeitenden und lässt ihn als alleinigen Verursacher des Fehlers dastehen, wodurch er sich schnell verantwortlich und schuldig fühlt.

  4. Vergleiche mit anderen Mitarbeitenden: Wenn die Leistung eines Mitarbeitenden negativ mit der von Kollegen verglichen wird, kann das Schuldgefühle auslösen, da er den Eindruck bekommt, den Erwartungen der Führungskraft nicht zu genügen.

    Beispiel:
    Eine Führungskraft sagt: "Robert Gerstmann hat das letzte Projekt viel schneller abgeschlossen - warum hat es bei dir so lange gedauert?" Diese Aussage legt nahe, dass der Mitarbeitende hinter den Erwartungen zurückbleibt, was schnell zu Gefühlen von Unzulänglichkeit und Schuld führen kann.

  5. Ironische oder sarkastische Kommentare: Sarkasmus kann oft ungewollt als Schuldzuweisung wahrgenommen werden, da er zwischen den Zeilen vermittelt, dass der Mitarbeitende etwas falsch gemacht hat.

    Beispiel:
    Die Führungskraft sagt nach einem Fehler: "Das war ja wirklich clever." Der Mitarbeitende könnte dies als abfällige Bemerkung verstehen und Schuldgefühle entwickeln, da die Aussage subtil auf seine "Unfähigkeit" hinweist.

Was kann die Führungskraft dagegen tun?

Um Schuldgefühle zu vermeiden, sollten Führungskräfte ihr Kommunikationsverhalten reflektieren und die folgenden Ansätze nutzen:
  • Konstruktives und wertschätzendes Feedback: Statt den Fokus auf das "Warum" zu legen, könnte die Führungskraft fragen: "Wie kann ich unterstützen, damit die nächste Präsentation pünktlich fertig wird?" So wird das Problem als gemeinsames Anliegen betrachtet. Generell sind Fragen, die nach einer Lösung suchen und Fragen, die in die Zukunft gerichtet sind konstruktiver und weniger belastend.
  • Fehler als Lernchance: Fehler sollten als Gelegenheit zur Verbesserung gesehen und entsprechend kommuniziert werden. Ein Ansatz wäre: "Was können wir beim nächsten Mal anders machen, damit wir das Ziel gemeinsam erreichen?"
Durch solche gezielten Verhaltensänderungen kann die Führungskraft ein unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen, das Schuldzuschreibungen vermeidet und den Mitarbeitenden motiviert, ohne sich durch Schuldgefühle blockiert zu fühlen.

Auswirkungen von Schuldgefühlen in der Arbeitsbeziehung

Schuldgefühle haben in der Arbeitsbeziehung weitreichende Konsequenzen. Sie beeinträchtigen das Selbstwertgefühl und führen häufig zu folgenden negativen Effekten:

  1. Leistungsminderung: Schuldgefühle lenken die Konzentration vom eigentlichen Arbeitsziel ab und führen zu einer verminderten Leistungsfähigkeit.

  2. Motivationsverlust: Mitarbeitende mit starken Schuldgefühlen empfinden ihre Arbeit oft als belastend und verlieren den Antrieb, sich aktiv einzubringen.

  3. Verschlechterung der Arbeitsbeziehung: Schuldgefühle führen zu einem negativen Selbstbild und beeinflussen die Arbeitsbeziehung, da der Mitarbeitende sich weniger wohl fühlt und Vertrauen zur Führungskraft verlieren kann.
Eine einfühlsame und klare Kommunikation ist der Schlüssel, um Schuldgefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen oder sie abzumildern.

Führungskräfte können folgende Ansätze nutzen:

  1. Klarheit und Transparenz schaffen: Führungskräfte sollten Erwartungen und Ziele klar formulieren und sicherstellen, dass der Mitarbeitende diese auch versteht.
    Beispiel: Eine Führungskraft stellt einem Mitarbeitenden eine neue Aufgabe vor und erklärt klar die Erwartungen und den gewünschten Zeithorizont. Sie fragt anschließend nach, ob der Mitarbeitende Fragen hat und bietet Unterstützung an.

  2. Regelmäßiges, konstruktives Feedback geben: Anstatt Fehler öffentlich zu kritisieren, sollte Feedback in einem unterstützenden und wertschätzenden Rahmen erfolgen. Ebenso wichtig: Feedback einholen und nach den Erlebnissen und Einschätzung des Mitarbeitenden fragen.

    Beispiel: Anstelle eines negativen Feedbacks im Teammeeting nimmt die Führungskraft sich Zeit für ein Vier-Augen-Gespräch und bespricht konstruktiv die Herausforderungen, die aufgetreten sind.

  3. Anerkennung und Wertschätzung zeigen: Anerkennung für den Einsatz und die Bemühungen der Mitarbeitenden stärkt das Selbstwertgefühl und beugt Schuldgefühlen vor.

    Beispiel: Nach Abschluss eines Projekts bedankt sich die Führungskraft für den Einsatz des Teams und hebt die individuelle Leistung jedes Teammitglieds hervor.

  4. Emotionale Intelligenz fördern: Führungskräfte, die lernen, emotionale Signale wahrzunehmen und zu deuten, erkennen frühzeitig Anzeichen für Schuldgefühle und können darauf angemessen reagieren.

    Beispiel: Eine Führungskraft bemerkt, dass ein Mitarbeitender stiller als sonst ist und weniger in Meetings beiträgt. In einem persönlichen Gespräch erfährt sie, dass der Mitarbeitende sich für einen Fehler verantwortlich fühlt. Sie bietet Unterstützung und ermutigt ihn, sich konstruktiv einzubringen.

Das Thema Selbstwert- und Schuldgefühle lässt sich oft im Arbeitskontext angehen, etwa durch wertschätzende Führung und konstruktives Feedback. Doch in bestimmten Fällen erreichen Selbstwertprobleme oder Schuldgefühle eine Intensität, die über den Handlungsspielraum einer Führungskraft hinausgeht und eine therapeutische Unterstützung erforderlich macht. Für Führungskräfte kann es hilfreich sein, Anzeichen zu erkennen, die darauf hindeuten, dass eine psychische Belastung oder ein emotionales Problem so tiefgreifend ist, dass professionelle Hilfe nötig ist.

Wann wird das Thema therapeutisch relevant?

Selbstwert- und Schuldgefühle bei Mitarbeitenden sollten dann als therapeutisch relevant eingestuft werden, wenn sie folgende Merkmale aufweisen:

  1. Anhaltende Intensität und Dauer: Wenn der Mitarbeitende über einen längeren Zeitraum (z. B. Wochen oder Monate) stark beeinträchtigt ist und keine Verbesserung durch Gespräche, Wertschätzung und Unterstützung am Arbeitsplatz eintritt, deutet dies auf ein tieferliegendes Problem hin.

  2. Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit: Wenn Selbstwert- oder Schuldgefühle dazu führen, dass der Mitarbeitende seine Arbeit kaum oder gar nicht mehr bewältigen kann, stark zögert oder häufig "blockiert" ist, könnte dies ein Zeichen für ernsthaftere emotionale Probleme sein.

  3. Körperliche und emotionale Symptome: Ständige Müdigkeit, Erschöpfung, häufige Fehlzeiten, Rückzug, Nervosität oder Unruhe können Anzeichen dafür sein, dass Schuld- und Selbstwertprobleme eine übermäßige Belastung darstellen.

  4. Selbstzweifel und negative Selbstgespräche: Wenn Mitarbeitende regelmäßig abwertend über sich selbst sprechen ("Ich bin einfach nicht gut genug", "Ich mache immer alles falsch") und sich wiederholt schuldig fühlen, selbst bei kleineren Fehlern oder Problemen, kann dies auf ein zugrunde liegendes psychisches Problem hinweisen.

  5. Negative Auswirkungen auf Beziehungen im Team: Häufige Konflikte, ausgeprägte Unsicherheiten im sozialen Kontakt oder stark ausgeprägte Schamgefühle und Rückzugstendenzen sind weitere Indikatoren für einen erhöhten Leidensdruck, der therapeutische Hilfe erfordern könnte.

Beispiel:
Ein Mitarbeitender macht einen kleinen Fehler, reagiert jedoch übermäßig selbstkritisch, spricht von "Unfähigkeit" und ist tagelang niedergeschlagen und selbstzweifelnd. In Teammeetings äußert er sich kaum noch, vermeidet Blickkontakt und wirkt permanent angespannt. Gespräche mit der Führungskraft und unterstützende Maßnahmen am Arbeitsplatz zeigen keine Verbesserung.

Ideales Vorgehen der Führungskraft in solchen Fällen

In einer solchen Situation ist es entscheidend, dass die Führungskraft einfühlsam und respektvoll vorgeht, da das Thema sensibel und oft mit Scham oder Angst vor Stigmatisierung behaftet ist.

Beispiel für ein ideales Vorgehen:
Eine Führungskraft bemerkt, dass ein Mitarbeitender über Monate hinweg stark unter Selbstzweifeln und Schuldgefühlen leidet und dass dies zunehmend die Arbeit beeinträchtigt. Die Führungskraft führt ein vertrauliches Gespräch, in dem sie Verständnis zeigt und dem Mitarbeitenden den Zugang zu einem externen Beratungsdienst des Unternehmens nahelegt. Sie betont, dass es keine Schande ist, Unterstützung zu suchen, und bietet jederzeit ein offenes Ohr an.

Studien und wissenschaftliche Quellen

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die sich mit den Auswirkungen von Schuldgefühlen am Arbeitsplatz und deren Bewältigung auseinandersetzen. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass Schuldgefühle häufig zu negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmotivation und das Wohlbefinden führen und dass Führungskräfte eine zentrale Rolle in der Prävention und dem Management dieser Emotionen spielen.

  1. Tangney, J. P., & Dearing, R. L. (2002). "Shame and Guilt." New York: Guilford Press. - Diese Studie untersucht die psychologischen Ursprünge von Schuldgefühlen und deren emotionale Auswirkungen.
  2. Barsade, S. G., & O'Neill, O. A. (2014). "Manage Your Emotional Culture." Harvard Business Review. - Ein Artikel, der die Bedeutung der emotionalen Intelligenz und der emotionalen Kultur für Führungskräfte beschreibt. Weblink: https://hbr.org/2016/01/manage-your-emotional-culture
  3. Fischer, A. H., & Tangney, J. P. (Eds.). (1995). "Self-conscious Emotions: The Psychology of Shame, Guilt, Embarrassment, and Pride." - Eine umfassende Analyse über Schuldgefühle und ihre Auswirkungen auf die sozialen Interaktionen und Beziehungen im Arbeitskontext.
  4. Bagozzi, R. P., Verbeke, W., & Gavino, J. C. (2003). "Culture Moderates the Self-regulation of Shame and Its Effects on Performance: The Case of Salespersons in the Netherlands and the Philippines." Journal of Applied Psychology, 88(2), 219-233. - Eine kulturübergreifende Studie, die die Rolle von Schuld- und Schamgefühlen auf die Leistung untersucht.
  5. Colin Wayne Leach "Understanding Shame and Guilt" Department of Psychology University of Connecticut

Fazit

Schuldgefühle am Arbeitsplatz können tiefgreifende Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden haben. Indem Führungskräfte ein empathisches, wertschätzendes und konstruktives Führungsverhalten entwickeln, lassen sich Schuldgefühle vermeiden und eine positive Arbeitsatmosphäre fördern. Klarheit, emotionale Intelligenz und regelmäßiges Feedback sind entscheidende Faktoren, um das Arbeitsumfeld für alle Beteiligten harmonischer und produktiver zu gestalten.

Doch wenn diese Gefühle dauerhaft sind und das Wohlbefinden und die Leistung des Mitarbeitenden erheblich beeinträchtigen, ist es sinnvoll, professionelle Unterstützung ins Gespräch zu bringen. Führungskräfte sollten sich dabei stets einfühlsam, wertfrei und unterstützend verhalten, um das Vertrauen des Mitarbeitenden zu bewahren und den Weg zu geeigneter Hilfe zu erleichtern.


Über den Autor:

Tom Senninger
Tom Senninger
Tom Senninger ist Personal- und Organisationsentwickler und führt seit 25 Jahren Führungskräfteentwicklungsprogramme durch.

Mit dem Führungsblog will er einen Beitrag zur Förderung der Führungsqualität in Unternehmen beisteuern.

Weiß & Senninger
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